PHYSIOTHERAPIE - Bobath

Grundlagen

Lernfähigkeit / Neuroplastizität

Das Gehirn und das gesamte Nervensystem sind zeitlebens lernfähig.

 

Gerade nach einer Schädigung erholt sich das zentrale Nervensystem (ZNS) und es lernt.

 

Die Erklärungsmuster über das Wesen einer ZNS-Schädigung und ihre Erholungsprozesse ändern sich durch wissenschaftliche Erkenntnisse.

 

Das Bobath-Konzept nutzt diese Erkenntnisse und erarbeitet Behandlungskriterien, um das Potential des Einzelnen zu verbessern.

 

Sensorische Information

Alle unsere Bewegungen sind das Ergebnis von Plänen, die mit Hilfe von Informationen aus der äußeren Welt (v. a. Sehen und Hören), der inneren Welt (Gleichgewichtssinn, Stellung von Körper und Körperteilen und Muskel-aktivität) und der Lebenserfahrung entstanden sind.

 

Die sensorische Information ist nach einer Schädigung im ZNS sehr reduziert, da wenig Bewegung (Lähmung) stattfindet.

 

Durch die Behandlung erhalten die Patienten wieder mehr sensorische Information, wodurch das Nervensystem zu anderer, neuer und nützlicherer Bewegungsplanung gelenkt wird.

 

Fazilitation

Die Informationen aus der inneren Welt sind über das Bewusstsein nur zu einem kleinen Teil zugänglich.

 

Die Hände der Therapeuten können über die Haut, das Bindegewebe, die Muskulatur, die Knochen und die Gelenke dem Nervensystem Informationen geben, die der Körper mit einer Lähmung von sich aus nicht liefern kann. Diese Handhabung der Therapeuten nennt sich Fazilitation. Sie kann überall am Körper zum Einsatz kommen. Sobald das Nervensystem seine eigenen Möglichkeiten erkennt, übt und trainiert der Patient alleine weiter.

 

Fazilitieren erfordert von Therapeuten viel Geschicklichkeit. Gute Kenntnisse über das Skelett, biomechanische Zusammenhänge, Bewegungsabläufe und die Muskulatur sind wichtig.

 

Zur weiteren Erleichterung des Lernens kann es hilfreich sein, die unmittelbare Umgebung des Patienten (seine äußere Welt) passend zu gestalten.

 

Beispiel:

Ein Patient hat eine Halbseitenlähmung links. Immer, wenn er vom Bett aufstehen will, kommt er nicht auf die Füße, sondern landet mit dem Gesäß wieder auf dem Bett. Der Grund dafür ist, dass ihm die räumliche Tiefe vor den Augen Angst macht, nach vorne zu fallen. Stellt man einen Hocker vor den Patienten, dann kann es sein, dass er viel leichter und besser auf die Füße kommt und aufstehen kann.

 

Haltungshintergrund, posturale Kontrolle

Wenn der Haltungshintergrund beeinträchtigt ist, sind Haltlosigkeit mit Gleichgewichtseinbußen und stereotype Bewegungsmuster die Folge.

 

Oftmals sind Zentren und Systeme, die für das Gleichgewicht und den Haltungshintergrund zuständig sind, direkt oder indirekt betroffen

 

Beispiel: Wenn wir den Arm nach vorne führen, um eine Flasche zu greifen, brauchen wir nicht nur Armmuskeln, die den Arm heben und nach vorne führen. Noch viel mehr Muskeln müssen koordiniert werden, um dabei das Gleichgewicht zu halten, dass wir dabei nicht nach vorne fallen.

 

Das sind vor allem viele kleine Muskeln, die dicht um die Gelenke herum liegen. Durch feinste Koordination bilden sie den Haltungshintergrund und erhalten die Haltung. Das Haltungshintergrundsystem arbeitet völlig unbewusst.

 

Durch Fazilitieren und durch kleine Gewichtsverlagerungen wird der Haltungshintergrund in der Auseinander-setzung des Körpers mit der Schwerkraft zu besserer Arbeit angeregt und größere Bewegungssequenzen sind dann möglich.

 

Im oberen Beispiel kann der Arm leichter und geschickter zur Flasche geführt werden, wenn die dynamische Stabilität in Schultergürtel und Rumpf verbessert ist.

 

Ein besserer Haltungshintergrund führt immer zu besserem Gleichgewicht und zu mehr Geschicklichkeit von Armen und Beinen.

 

Ausüben im Alltag

Die dazu gewonnenen Fähigkeiten werden in alltäglichen Anforderungen ausgeübt und erweitert.

 

Beispiel: Wenn jemand es schafft, eine Bordkante frei hoch- und herunterzugehen, ist das nächsthöhere Ziel, auch 2-3 Stufen frei gehen zu können, denn im Alltag begegnen Patienten immer wieder Treppen mit ein paar Stufen ohne Geländer.

 

Eigentraining

Ein individuelles Eigentraining beschleunigt das Lernen. Es nimmt die Inhalte aus den Therapiestunden auf, erweitert sie und fördert die Eigenverantwortung.

 

Das Eigentraining begleitet die Patienten von Anfang an.

 

Schlussbemerkung

Das Bobath-Konzept nutzt sowohl das Verständnis darüber, wie das Zentrale Nervensystem Bewegung generiert, als auch das Wissen darüber, wie Menschen sich normalerweise bewegen.

 

In jeder Phase geht es darum, den Patienten zu lehren, sein motorisches Verhalten effektiver zu gestalten.

 

Das alles schafft Selbständigkeit und Freiheiten, eben Unabhängigkeit von helfenden Personen, teuren Hilfs-diensten und Hilfsmitteln.

 

Und: Mehr Selbständigkeit senkt die Kosten im Gesundheitssystem und für die Familien!

 

Lernen ist zeitlebens möglich,

bringt Freude und Spaß an Bewegung und

steigert das körperliche Wohlbefinden.

 

Das zentrale Nervensystem:

"if you don't use it, you loose it!" ("wenn du es nicht nützest, verlierst du es!").

 

Annette Köble-Stäbler

 

Siehe auch: Über das Bobath-Konzept